Majestätisch blickt der große Uhrturm des Schlingerhofes über den Markt, fast als wolle er ihn beschützen. Bei Sonnenuntergang färbt sich die helle Fassade mit den vielen Fenstern in einen sanften Orange- oder Rosaton. Wer hier wohnt, blickt entweder auf den Markt oder in den grünen Innenhof des Gemeindebaues. Bei seinen BewohnerInnen ist der Schlingerhof beliebt – viele leben seit Jahrzehnten hier und schätzen die vertraute Nachbarschaft und die Nähe zum Markt.
Modernes Wohnen Anno 1926
Der Schlingerhof war einer der ersten Gemeindebauten, die im Zuge des Roten Wien errichtet wurden. Vor rund 100 Jahren waren die Wohnverhältnisse in den Wiener Gründerzeithäusern sehr schlecht: Häufig teilten sich mehrere Generationen eine kleine Küche-Kabinett-Wohnung, WCs befanden sich meist am Gang. Mit der Errichtung der ersten Wiener Gemeindebauten in den 1920er Jahren verbesserte sich für viele die Wohnsituation beträchtlich: Der Schlingerhof mit seinen verhältnismäßig geräumigen, hellen, trockenen und günstigen Wohnungen mit WC und Wasseranschluss, den großzügigen Innenhöfen und Gemeinschaftseinrichtungen bot vielen Floridsdorfer BewohnerInnen ein modernes und leistbares Zuhause.
Schlingerhof und Schlingermarkt
Erbaut wurde der Schlingerhof auf den Gründen des ehemaligen „Englischen Gaswerkes“, fertiggestellt wurde er 1926. Den Namen hat die Wohnhausanlage von Anton Schlinger. Anton Schlinger war der erste Sozialdemokrat, der in den Wiener Gemeinderat entsandt worden ist. Er setzte sich politisch stark ein, leitete 1897 den Wahlkampf der Sozialdemokraten in Floridsdorf. Zu dieser Zeit gehörte Floridsdorf noch nicht zu Wien. Floridsdorf wurde in dem Jahr 1904/1905 nach Wien eingemeindet.
Im Jahr der Fertigstellung des Schlingerhofes übersiedelte auch der Floridsdorfer Markt von seinem alten Standort am Floridsdorfer Spitz auf den Platz vor den Schlingerhof. Seitdem wird der Markt im Volksmund „Schlingermarkt“ genannt.
Ein Ort voller Geschichte
Der Schlingerhof ist ein geschichtsträchtiger Ort: Im Jahr 1934 war er ein Zentrum der Februaraufstände, als die Gegensätze zwischen SozialdemokratInnen und Republikanischem Schutzbund und der Christlich-Sozialen Regierung, die das Parlament 1933 auflöste, zum Bürgerkrieg führten. Der Schlingerhof wurde zum Schauplatz des Widerstandes gegen die Sicherheitskräfte des Regimes, die am 13. Februar mit Panzerwagen und Geschoßen den Schlingermarkt angriffen. Kurz darauf gelang es Bundesheer und Polizei, den Schlingerhof endgültig zu besetzen; rund 350 Schutzbündler aus dem Schlingerhof wurden verhaftet, viele flüchteten nach dem Verbot der sozialdemokratischen Partei ins Exil. Durch die Februarkämpfe wurde die Wohnhausanlage stark beschädigt. Im südöstlichen Teil des Schlingerhofes findet man eine Gedenktafel, die an die Opfer der Kämpfe erinnert.
Schöner Wohnen im Schlingerhof
Seitdem ist in den Schlingerhof Ruhe eingekehrt. Von 1992 bis 1995 wurde der Hof umfassend saniert: Es wurden das Dach, Fassaden, Fenster und Türen erneuert. Bereits im Jahre 1987 wurden alle Stiegen mit Aufzügen ausgestattet. Im Innenhof haben BewohnerInnen Gemeinschaftsbeete angelegt, die kleinen BewohnerInnen besuchen den hauseigenen Kindergarten, die Nahversorgung befindet sich vor der Haustüre.
„Ich will im Schlingerhof sterben!“ ist ein Herr, der seit den frühen 70er-Jahren hier in einer kleinen Wohnung im zweiten Stockwerk lebt und begeisterter Schlingerhof-Bewohner ist, überzeugt. „Zu den Nachbarn habe ich einen guten Draht – wenn schönes Wetter ist, sitzen wir immer hier herunten und ratschen. Immer dieselben fünf oder sechs Leute. Das gefällt mir!“
Der Schlingerhof in Zahlen
· 478 Wohnungen · 24 Stiegen · 24 Geschäftslokale · 4 HausbesorgerInnen · 1 Waschküche · 1 Kindergarten · 15 Fahrradboxen · 2 ÄrztInnen |